Seeon-Seebruck

Der Archäologische Rundweg durch die Gemeinde Seeon-Seebruck

/ 21.11.2006
Überblick

Wasserreiche Landschaften galten zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte als ideale und herausgehobene Siedlungsplätze. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass das Umfeld des Chiemsees mit dem sich nördlich anschließenden Alztal auf eine mehrtausendjährige Geschichte zurückblicken kann.

Fast ein Jahrhundert kontinuierlicher Bodenforschung legte ein beeindruckendes Bild der Vergangenheit unserer Gemeinde frei und weist sie als uraltes Kulturland aus. In einer Reihe von Grabungskampagnen und durch zahlreiche Zufallsfunde konnten neben überregional bedeutsamen Bodendenkmälern, antiken Gebäuderesten, Grablegen, Straßentrassen und Flussübergängen eine unüberschaubare Menge an Kleinfundmaterial aus prähistorischen und frühgeschichtlichen Zeitabschnitten geborgen und sichergestellt werden. Erste Fundspuren lassen sich bis in die Jungsteinzeit und Bronzezeit zurückverfolgen. Den Urnenfeldermenschen folgten die der Hallstattzeit, dann kamen die Kelten, die Römer und schließlich die Bajuwaren. Der sich daran anschließende Übergang vom Frühmittelalter in die Jetztzeit scheint nahezu lückenlos erschlossen.

Es liegt auf der Hand, den neugierigen Menschen an die Fundorte zu führen, diese zu erschließen und mit einem Rundweg miteinander zu verbinden. Dies ist schon lange erklärte Absicht und Wunschtraum des Heimat- und Geschichtsvereins Bedaium, denn Geschichte vor Ort zu zeigen ist der beste Weg sie zu begreifen, alte Kulturtechniken zu vermitteln.

Nur im Freiland kann der Besucher erfahren, warum unsere frühen Vorfahren, ob einzeln oder in Familienverbänden, sich gerade hier niederließen, das Land nach ihren Bedürfnissen gestalteten und begannen, Wälder zu roden und Häuser zu bauen. Über die Beschäftigung mit den Lebensweisen dieser ersten Ansiedler gewinnt man Einblick in deren Denkweisen und Empfindungen, Einblick in ihre familiären Bindungen, täglichen Bedürfnisse und religiösen Vorstellungen, und der Vergleich mit sich selbst wird unausbleiblich sein. Dies ist es, was den modernen Menschen immer häufiger beschäftigt, sich selbst zu hinterfragen, an die Wurzeln des eigenen Seins vorzudringen und das eigene Selbstverständnis erklärbar zu machen. Und man wird dabei feststellen und lernen, dass Grundmuster menschlichen Verhaltens und ethischer Normen, dass Lebensart, Gebräuche und Gewohnheiten, dass Kult und Zeremonie eine gemeinsame, ferne Wurzel besitzen, die - zwar abgewandelt - über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg in einer durchgängigen Tradition liegen.
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Station 2

Die Station 2 des Rundwegs, das römisch-norische Gräberfeld in Graben, am östlichen Ortsausgang Seebrucks, mag dafür beispielhaft sein. Während der frühen und mittleren Kaiserzeit, also im 1. - 3. Jh. n. Chr., ging der Beisetzung der Toten deren Verbrennung voraus. Dies mag auch ein Grund sein, warum die römischen Friedhöfe nach gesetzlichen Bestimmungen außerhalb der Orte angelegt werden mussten. Dass dem Verstorbenen, seiner Bestattung und seinem Gedenken liebevolle Fürsorge galt, mag darin zu sehen sein, dass man den Leichnam salbte, manchmal parfümierte, ihn in Leinentücher wickelte und ihn dann auf dem Scheiterhaufen über einer Verbrennungsgrube aufbahrte. Bestimmend war hierbei der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod, denn der Tod bedeutete auch damals keine endgültige Trennung.

Mit dem Toten verbrannt wurden Speis und Trank, die man ihm mitgab und die der Wegzehrung dienen sollten, wohlriechende Essenzen, Weihrauch, Räucherkelche und Öllampen als Symbol des ewigen Lichts. Am offenen Grab brachten die Angehörigen dem Verstorbenen Trankopfer dar, die je nach Brenndauer des Scheiterhaufens zeitlich sehr ausgedehnt gewesen sein konnten. Die Verbindung zum bayerischen Leichenschmaus ist leicht zu erkennen.

Die Gräber wurden ursprünglich durch Einfriedungen markiert, in unserem Gebiet, einer norisch- keltischen Sitte folgend, mit einem kleinen oder größeren Hügel überwölbt. "Eichbuckelwiese" weisen deshalb die späteren Katasterkarten für diesen seeanlandigen Geländestreifen als Namen aus. Alle Gräber waren mit einem Grabstein gekennzeichnet, aus deren Inschriften - gerade so wie heute - persönliche, wirtschaftliche und familiäre Verhältnisse des Toten zu erkennen waren.

Die Verbundenheit mit den Toten fand ihren besonderen Ausdruck im liebevollen Grabschmuck oder in prunkvollen Grabdenkmälern, die zum Teil stattliche Ausmaße erreichten.
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Station 3

Von Graben führt der Weg weiter nach Stöffling zur Station 3 des Rundwegs, etwa 1 km nordöstlich von Seebruck, am rechten Alzufer, auf dem "Gerstenpoint", einem der zahlreichen Moränenkuppen gelegen, die das Landschaftbild am Chiemsee prägen.

Die flache, in ost-westlicher Richtung verlaufende Erhebung ist seit langer Zeit bäuerlicher Ackerboden, während an die südliche und nördliche Hangseite anmoorige Wiesen grenzen. Drainagearbeiten erbrachten 1966/67 die ersten Hinweise auf eine ausgedehnte, latènezeitliche Siedlungsschicht, aus der hauptsächlich Graphittonkeramik und Tierknochen zutage kamen. Die Oberflächenbefunde belegen eine Besiedlung des "Gerstenpoints" bereits während der frühen Urnenfelderzeit. Den weitaus größeren Anteil der Funde bilden jedoch mittel- und spätlatènezeitliche Metallgegenstände, deren Streuung Rückschlüsse auf die Ausdehnung der keltischen Siedlung von etwa 400 m Länge und 150 m Breite zulässt. Als wichtigste Gruppe im Fundmaterial sind mehr als 350 keltische Münzen aus Gold, Silber und anderen Metallen anzusehen. Auf eine eigene Münzprägestätte deutet ein Silberbarren hin. Die Funde weisen auf eine Entstehung der keltischen Siedlung bereits um die Mitte des 3. Jahrhundert v. Chr.

In einem frühgeschichtlichen Gehöft, bestehend aus vier Gebäuden - Wohnhaus, Stall, Lagergebäude und Werkstatt - soll das Leben unserer keltischen Vorfahren plastisch und praktisch erlebbar werden. Ziel der Anlage ist es auch, eine frühe menschliche Ansiedlung möglichst realistisch nachzubauen. Dazu gehört selbstverständlich, dass bereits beim Bau der Häuser versucht wird, sich an die handwerklichen Möglichkeiten unserer keltischen Vorfahren zu halten.

Seit etwa 4000 - 5000 Jahren gibt es in Mitteleuropa eine nachweisbare Bautradition. Bis vor ungefähr 200 Jahren waren diese Bauten überwiegend aus Holz konstruiert. Erst die Vorschriften von 1799 zur Verhütung von Bränden haben im landwirtschaftlichen Bauwesen die Verwendung von Holz für Außenwände und als Dacheindeckung verboten.

Im Bereich der Keltensiedlung von Stöffling wurden einige Pfostenlöcher im Erdreich entdeckt. Ob diese Pfostenlöcher von Ständerbauten stammen, lässt sich nicht nachweisen, da kein Grundriss- System erkennbar war. Die Pflugscharen haben die baulichen Spuren der Vergangenheit über die Jahrhunderte hinweg weitgehend zerstört. Blockbauten sind ohnehin nicht nachweisbar, da sie keine Spuren bzw. Bodenverfärbungen im Erdreich hinterlassen. In unserer Gegend wurden bei ebenem Gelände die Fußschwellen der Blockbauten direkt auf das Erdreich aufgelegt.

Der keltische Hausbau im Alpen- und Voralpenland ist durch den Blockbau geprägt, während in den übrigen Siedlungsbereichen der Ständerbau bevorzugt wurde. Die ursprünglichste Form ist dabei der Rundholzblockbau. Es folgt der geteilte Blockbau mit Vorhölzern an den Ecken. Bedingt durch den Blockbau sind nur strenge, klare Rechteckgrundrisse möglich. Die ursprünglich aneinandergereihten Kästen wurden im Lauf der Entwicklung durch den Hausgang, der als Verkehrs- und Lagerfläche diente, verbunden. Teilweise diente der Hausgang beim "einfachen Haus" als Kochstelle.

Prägend für die Dachlandschaft ist das flachgeneigte Pfettendach mit weitauslandenen Vordächern zum Schutz der Holzaußenwände. Als Dacheindeckung dienen Legeschindeln, die mit Schwersteinen und Dachlatten gegen Wind und Abrutschen gesichert sind. Die steilen Dächer der Ständerbauten sind mit Scharschindeln eingedeckt, die im Gegensatz zu den Legeschindeln mit Nägeln befestigt sind. Typisch für unsere Alzlandschaft sind sicherlich Dacheindeckungen mit Schilf, möglicherweise auch mit Stroh.

Aus der näheren Umgebung von Stöffling sind weitere latènezeitliche Fundstellen bekannt, etwa 2 km nördlich in einer Alzschleife die keltische Viereckschanze von Truchtlaching. Diese wird Station 4unseres Archäologischen Rundwegs. Die Ausweisung beginnt Ende dieses Jahres.

Der Weg führt weiter an die frühmittelalterliche Fluchtburg im Alzknie, zu den hallstattzeitlichen Hügelgräbern von Steinrab und zu den bronzezeitlichen Hortfundstätten bei Heimhilgen. Von hier durchquert unser Rundweg ausgedehnte Hochäcker-Anlagen, bringt uns nach Burgham und zurück zum Chiemseeufer, wo bei Esbaum die Römerstraße Augusta Vindelicum - Iuvavum angeschnitten werden soll. Letzte Station ist die Darre an der Römerstraße in Seebruck und die sie umgebenden römerzeitlichen Gebäudebefunde. Der Weg beginnt am Römermuseum - Station 1, wo im Freigelände römische Spolien aufgestellt sind, und ein Teil der Kastellmauer sichtbar ist. Dieser Platz wird im Zuge von Ortsverschönerungsmaßnahmen in diesem Jahr neu gestaltet.

Der Rundweg beginnt und endet also am Römermueum Bedaium/Seebruck. Die hier gezeigten Fundobjekte und Exponate, die ausgestellten Graphiken und Bildtafeln sollen den Interessierten auf den Weg einstimmen bzw. die gemachten Beobachtungen und die persönlich daraus gezogenen Erkenntnisse vertiefen. Film- und Videomaterial sowie ortsbezogene Literatur können ihm dabei behilflich sein.

Das "Vitrinenmuseum" wird so in hervorragender Weise durch das "Freilichtmuseum" ergänzt und umgekehrt. Die steigende Zahl der Besucher und deren unterstützende und begleitende Meinungsbekundungen bestätigen das erarbeitete Konzept.

Der ungefähr 27 km lange Weg führt durch alle drei Gemeindeteile - Seebruck, Truchtlaching und Seeon. Dabei wurden bewusst Straßen ausgesucht, die abseits liegen, kaum Verkehr aufweisen und so ein sorgloses Radeln und Wandern ermöglichen. Der Routenvorschlag führt bei weitem nicht zu allen prähistorischen und frühgeschichtlichen Fundstätten und Bodendenkmälern, es wurden die bedeutenderen ausgesucht (P1 - P10, s. Karte).

An jeder ausgewiesenen Anlaufstation erhält der Radler oder Wanderer in einem oktogonalen Informationspavillon, aus Stahl und Glas konstruiert, Unterlagen zum Wegverlauf und eine Beschreibung zu den dargestellten oder rekonstruierten Befunden. Auch hier ergänzt, z. T. großflächiges Bildmaterial das Anliegen.

Die Beschilderung der Stationen und der Wegverluf ist durch römisch-rote Metallschilder mit dem aufgedruckten Erkennungsbild des Römerortes Bedaium, dem Capricorn - einem hier gefundenen Abzeichen der augusteischen Legion - gekennzeichnet. Zu gegebener Zeit wird zum Ausruhen auf Gasthöfe, Wirtshäuser und Cafés hingewiesen.

Der interessierte Besucher, der sich auf unserem Rundweg einen Ausschnitt seiner eigenen Geschichte erwandert oder erradelt, wird in dieser herrlichen Landschaft noch andere Erkenntnisse erfahren, nämlich die, dass menschliches Tun nur im Gleichklang mit der Natur gelingen konnte, und dass die heute sichtbare Kulturlandschaft, das also was wir als schön empfinden, an dem wir uns erbauen, das Ergebnis einer jahrhundertelangen Symbiose zwischen dem Menschen und seinem Umfeld ist. Dabei wird er sich bewusst werden, dass ihn vieles davon, sowohl in seinem Denken wie in seinem Handeln, mitprägte und mitprägt, und dass das Leben auf so altem Kulturboden auch die Verpflichtung in sich trägt, dieses Erbe zu bewahren und es nicht bei scheinbaren Vorteilen leichtfertig preiszugeben. Es muss aber auch klar sein, dass dieses alte Kulturland unser Kapital ist, nicht nur im eigenen Selbstverständnis, sondern auch als Angebot für unsere Gäste, die uns besuchen und bei uns Erholung finden. Der hier beschriebene Archäologische Rundweg ist auch dafür als Angebot zu begreifen.
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Ansprechpartner

Verfasser:
Dr. Alfons Regnauer
Römerstr. 44
83358 Seebruck
Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins Bedaium in Seebruck